»Die Ausstellung unternimmt den Versuch, die Hauptstränge der Sozial-, Wirtschafts-, Technik- und Kulturgeschichte zusammen mit anthropologischen Aspekten gleichsam von unten zu zeigen. ›Von unten‹ meint in diesem Zusammenhang, aus den Schächten, aus den Strecken und aus dem Abbau.
Es ist als Verantwortung zur Überlieferung an zukünftige Generationen unerlässlich, zumindest einmal alle verfügbaren Objekte, die mit dem Bergbau im Saarland in Verbindung stehen, zusammenzuführen und würdig zu präsentieren. Über das rein Dingliche, das in früheren Zeiten und zum Teil bis jetzt in Benutzung war, waren Momente des Lebens festzuhalten, die später nicht mehr authentisch zur Verfügung stehen werden.
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Eine Ausstellung zum Ende des Bergbaus im Saarland ist für manche ein trauriges Ereignis, denn die eigene Geschichte, oder diejenige von Verwandten und Freunden, wurde gebrochen. Wieder andere freuen sich und alle werden ermahnt, dass ein wirkliches Ende noch Jahre dauern wird, beispielsweise für diejenigen, die in einer Zone mit Bergschäden leben. Schließlich wird bei einer Ausstellung die Empfindung angesprochen, weil die Vielen, die die Ausstellung besuchen, mit anderen ins Gespräch kommen – das ist besonders spannend und birgt Unvorhergesehenes, weil die kulturhistorische Ausstellung keine Zielgruppe kennt, sie ist, wie der Kulturwissenschaftler Gottfried Korff betont, ein ›Omnibus‹ – eben für alle da.
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Die Betrachtungsweise von unter Tag hat einen durchaus pragmatischen Grund: Redundanzen mit bestehenden Institutionen im Saarland und in Lothringen können so vermieden werden, weil selbst bei einem Thema wie beispielsweise dem Zweiten Weltkrieg primär die Auswirkungen unter Tage untersucht und gezeigt werden sollen. Nur dort, wo sich das Leben ausschließlich über Tage abspielte, sind ›Stollen‹ angeordnet, die in die helle Welt, zum zweiten Bereich hinausführen.
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Sich kreuzende Wege und übereinandergeschichtete Ebenen wollten hintereinander gebracht werden, um dem Publikum einen verständlichen Rundgang anzubieten. Wie in einem Roman sind in eine chronologische Leitmotivik Einschübe und Rückblicke zu formulieren und in eine Dramaturgie zu gießen.
Dem Publikum wird ein ›Querschlag‹ zum Begehen von ›Strecken‹ ›aufgefahren‹, beidseitig von drei Meter hohen Wänden definiert. Diese Wände sind eigentliche Gehäuse aus Glas und nehmen den Mikrokosmos von Ausstellungsobjekten auf, der gleichsam aus sich heraus leuchten soll und seine Geschichten szenisch angeordnet preisgibt. An der gegenüberliegenden Seite angekommen, öffnet sich ein zweiter, parallel verlaufender Querschlag. Zwischen diesen beiden sich verjüngenden Hauptwegen steigt eine Rampe an, die den Raum in zwei Hälften teilt und nach dem zweiten Querschlag zum sanften Ansteigen einlädt. Die Rampe ermöglicht allen den Besuch der beiden Raumemporen, die jeweils den Raumabschluss vor beiden Schmalseiten bilden. Die nördliche Empore ist dem materiellen und immateriellen Erbe vorbehalten, dort ist zu sehen, was bleibt und was bleiben soll. Dort präsentieren sich nicht nur Wirkungen, die aus dem Bergbau ins Alltagsleben reichen, auch die Veränderungen von Landschaft und Energieversorgung gehen zurück auf die Zeit des aktiven Steinkohlebergbaus und begleiten uns fürderhin. Die südliche Empore, mit einer weiteren Rampe mit der nördlichen verbunden, nimmt die Abteilung ›Memorandum‹ auf, die das Erbe der Empfindungen zeigt. Hier vermitteln Objekte kleine Geschichten aus dem Saarland.
Eine Ausstellung ist per se dem Dinglichen gewidmet – wobei wir den Vorteil nutzen konnten, über gute Vorlagen mit bewegten Bilder zu verfügen, um so auch Dokumentarisches und Gespieltes aus dem Leben in die Ausstellung bringen zu können. Das Interesse mehrerer Beteiligter der Ausstellungsgruppe an medialer Produktion hat darüber hinaus eine Vielzahl von statischen und bewegten Bildern erzeugt, um so einen umfassenden bildlichen Eindruck zu vermitteln. Es bleibt aber beim Primat des Dinglichen und das ist nicht falsch, denn jedes Ding – vom Kunstwerk zum Objet trouvé bis zum technischen Gebrauchsgegenstand – ist immer ein von Menschen Geschaffenes, Gefundenes oder Geschürftes: Es zeugt von der Schaffenskraft, der Kunstfertigkeit und dem Fortschrittswillen der Menschen an der Saar.
Der Rundgang soll kurzweilig sein, archetypischer Raumbildung verpflichtet, gleichsam den Maximen Le Corbusiers folgend, der von ›le jeu des rampes‹ und ›le passage architectural‹ sprach. Das Spiel der Rampen und der Spaziergang in der Szenografie mögen das Publikum auch an diesen Ort locken, der sich nicht gerade in einem Metropolenumfeld befindet.
Dem Raum, den die Ausstellung im Zechengebäude der Grube Reden besetzt, ist von seiner einstigen Nutzung nichts mehr anzumerken, so dass es uns nicht schwerfiel, das neun Meter hohe Volumen durch gänzliche Verdunkelung aller Fenster gleichsam auszublenden. Denn nur so ist unser Leitmotiv zu vermitteln, die Geschichte aus der Perspektive von unter Tage zu zeigen. Dank der LED-Technologie, die just jetzt endlich erschwinglich und in guter Farbwiedergabe zur Verfügung steht, kann das Licht ausschließlich in die Vitrinenwände integriert werden, ohne diese aufzuheizen. So zeigen sich die Objekte konservatorisch korrekt in geheimnisvollem Licht, zum Teil fahl beleuchtet, gerade so wie das Licht von Leuchtstofflampen einer Strecke unter Tage nur eine gewisse Sicherheit vermitteln, während wärmeres, gezielt leuchtendes Licht einzelne Objekte zu betonen und akzentuieren hilft. Diese Zusatzbeleuchtung ist separat zu schalten, um durch eine Art Grubenlampe ersetzt zu werden. Diese kann sich das Publikum ausleihen. So ist die Begehung der Ausstellung wie in einem Bergwerk möglich, in dem der Bergmann immer mit seinem Geleucht die unmittelbaren Wege und Arbeitszonen erhellt.
Die Ausstellung macht den Bergbau nicht wieder lebendig und sie ist nur bedingt ein Instrument der Nostalgie. Sie soll vielmehr beim Anregen von Ideen helfen, wie das Erbe der Bergleute im Saarland zukünftig bewahrt wird. Grundaufgabe des Mediums Ausstellung ist es, Objekte zum Sprechen zu bringen. Die Interaktion von Objektgruppen formuliert Geschichten, die wiederum einzelne Kapitel bilden. Der Erzählstruktur einer Ausstellung ist das Enzyklopädische fremd und es ist für das Publikum nicht notwendig, jedes Kapitel in gleicher Intensität durchzuarbeiten. Das analoge Erfassen von Objekten und Objektgruppen ermöglicht ein schnelles Verstehen der Zu- sammenhänge, die sich im Kopf intuitiv ordnen. [Fragment als “Lehrmeister der Fiktion” – vgl. André Malraux: ›Das imaginäre Museum‹, Frankfurt/New York: 1987] Ein umfassendes Verstehen des Steinkohlebergbaus im Saarland in Form einer Ausstellung ist gai savoir – also fröhliche Wissenschaft – ein Erlebnis für alle Sinne, eine kurzweilige Folge von spannenden Kapiteln.«
Quelle: Jürg Steiner in der Einleitung zum Ausstellungskatalog ›Das Erbe – die Ausstellung zum Bergbau im Saarland‹
Nachhaltig unglücklich ist der Kurator, dass es ihm nicht gelang, die Mehrheit der Entscheider zu einem semantisch richtigen Titel der Ausstellung zu bewegen. Sowohl Haupttitel als auch beschreibender Untertitel ließen das Publikum im Unklaren. Der Begriff ›Erbe‹ gehört in den Untertitel, der Haupttitel muss attraktiv – im eigentlichen Sinn des Wortes – sein. So waren zwei der Vorschläge des Kurators: ›Schicht im Schacht – das Erbe des Bergbaus im Saarland‹, oder ›Schacht und Heim – der Bergbau im Saarland und sein Erbe‹.
»Ja! Ich weiss, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich.
Licht wird Alles, was ich fasse,
Kohle Alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich.«
Quelle: Friedrich Nietzsche: ›Fröhliche Wissenschaft‹, Vers 62: Ecce homo, Leipzig 1887
www.nietzschesource.org (18. Oktober 2012)
Fotografien
Mechthild Schneider, Jürg Steiner